Rückzug aus Afghanistan

27.08.2021

Afghanistan 2004 – 2006 in Bildern

Dies ist ein Bericht in drei Teilen – angefangen habe ich nach der „Übergabe der US-Basis Bagram“ an die afghanische Regierung, der letzte Teil des Textes wurde nach dem Fall von Kabul an die Taliban geschrieben. Der dritte Teil sind einige eigene Fotos aus meinen 2 Jahren in Kabul.

Die US-Truppen haben die Luftwaffenbasis in Bagram geräumt und den afghanischen Truppen übergeben (02.07.2021). Diese sind aber sicher nicht ganz froh darüber, ihre Schutzmacht – und die anderen Truppen der ISAF - gehen zu lassen. Auch Scheberghan (09.08.2021) und Kunduz (10.08.2021) im Norden sind jetzt von den Taliban besetzt, was über mehr als ein Jahrzehnt das Zentrum der Bundeswehr-Konzentration in Afghanistan war. Die Geschichte wiederholt sich, nur in Nuancen unterschiedlich.

Die Bagram Air Base, etwa 40 km nördlich von Kabul, stand wie kaum ein anderer Punkt Afghanistans für die 20-jährige US-Präsenz, sie war nicht nur der größte Stützpunkt, hier saßen auch alle wichtigen Einrichtungen des US-Militärs in Afghanistan. Auch befand sich hier eines der berüchtigtsten Militärgefängnisse der USA, es war der Vorhof zu Guantanamo. Bagram war das Symbol der USA in Afghanistan.

Man mag zu Trump stehen, wie man will, der Rückzug ist überfällig gewesen, er beendet eine Patt-Situation zwischen den ISAF-Truppen und der mit diesen verbündeten Afghans National Army und den Taliban, die in weiten Teilen des Landes schon die Macht seit Jahren übernommen haben. Es hat sich gezeigt, eine militärische Lösung des Konfliktes ist nicht möglich – also Rückzug, möglichst ohne größere Verluste und politischen Gesichtsverlust. Doch was bedeutet dies für Afghanistans Zukunft? Die größeren Städte sind meist noch unter Kontrolle Kabuls, doch das breite Land ist ein einziger Hinterhalt der Taliban für die Regierungstruppen … man sollte also die Geschichte befragen, was hätte man frühzeitig daraus lernen können und umsetzen sollen.

Afghanistan ist kein einheitlicher Nationalstaat, er war es auch eigentlich nie. Es leben verschiedene Ethnien im Gebiet Afghanistan, welche auch historisch stets die erste bindende Kraft waren, lediglich bei äußerer Bedrohung kam es zu weitgehenden temporalen Bündnissen. Wobei in der Neuzeit – ab dem 19. Jahrhundert – bis 1989 Afghanistan zunehmend in den Konflikt zwischen Russland und Großbritannien geriet. Beide Mächte versuchten das Gebiet zu dominieren, wobei Russland auf die Besiedlung des Nordens des Landes mit von ihm abhängigen Turkvölkern zielte, setzten die Britten mehr auf die militärische Intervention und die Einsetzung von Machthabern, welche die eigenen Ambitionen unterstützen sollten. Bekannt ist die Invasion von 1839 - 1842, in der die Britten Kabul einnehmen, aber wegen den Überfällen der Afghanen auf deren Nachschub-Linien diese nicht halten konnten. So begannen sie den Rückzug auf heute pakistanisches Gebiet. Die gesamte Garnison von Kabul und die britischen Zivilisten und andere Verbündete, zum Teil auch Afghanen, begaben sich auf den Rückzug in das etwa 80 km entfernte Dschalalabad – die Grenzstadt zum damaligen britischen Kolonialgebet Indien. Theodor Fontane beschrieb diesen Rückzug 1858 in seinem Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“  – lediglich ein Reiter, überlebte diesen Rückzug, alle anderen im Konvoi starben durch die Hand der Afghanen oder widrige Witterungs- und Wegbedingungen.

Nach einer erneuten Besetzung Kabuls 1880 durch die Briten wird Kabul gebrandschatzt, und Großbritannien beherrschte das Land bis 1919, als nach einem erneuten Aufstand das Land unabhängig wurde.
Afghanistan war einer der ersten unabhängigen Staaten in der Region, wobei der Staat als relativ lose Anordnung der Ethnien verstanden werden muss, dem die Zentralregierung weitgehende Autonomie einräumte. Wegen der relativ großen tadschikischen und usbekischen Bevölkerungsgruppen bestanden gute Beziehungen nach Russland, auch da dies die antibritischen Ambitionen Afghanistans unterstützte.

Ethnien Afg

Diese ethnische Vielfalt kommt natürlich auch in der Vielfalt der gesprochenen Sprachen zum Ausdruck, wobei Dari – eine Version der persischen Sprache – gesprochen oder verstanden von über 75% der Bevölkerung und das Paschto gefolgt von etwa 50% der Bevölkerung dominieren und als offizielle Landessprachen festgelegt sind.

Sprachen Afg

Nicht zuletzt wegen dieser angespannten Beziehungen Afghanistans zu Großbritannien war die UdSSR eines der ersten Länder welches im Jahre 1919 diplomatische Beziehungen zu Kabul aufnahm und im Jahre 1921 einen Freundschaftsvertrag unterzeichnete. Trotz kleinerer bilateraler Konflikte waren die Beziehungen zwischen beiden Staaten gut. Seit Mitte der 50er Jahre unterstützte die UdSSR Afghanistan auch finanziell und militärisch. Gleichzeitig wuchs die Macht und der Einfluss der Demokratischen Volkspartei Afghanistans – einer eher linken, national demokratischen Partei, da diese eine der wenigen politischen Parteien waren die Ethnien übergreifend auf die gebildete Mittelschicht setzte. Über die Zeit gewann jedoch ein stalinistischer Block innerhalb der Partei die Überhand und gelangte durch einen auch von Teilen der Armee getragenen Putsch 1978 an die Macht. Die Politik der neuen Regierung war stark dogmatisch und ignorierte die Verhältnisse auf dem Land, während in Kabul und anderen größeren Städten die Miniröcke als Kleidung junger Frauen dominierten war auf dem Land die Burka das tägliche Kleidungsstück der Frauen. Die von Kabul ausgehenden Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Bodenreform, welche sehr hart umgesetzt wurde, führten in Nuristan zu den ersten bewaffneten Aufständen, die sich rasch im Lande ausbreiteten. Auch ein Führungswechsel in Kabul zu einer gemäßigteren Führung funktionierte nicht. Auf der anderen Seite wurden die Insurgenten von Pakistan unterstützt und der interne Konflikt weitete sich soweit aus, dass die afghanische Regierung die UdSSR mehrfach um direkte militärische Hilfe ersuchte. Die Russen begingen diesen Fehler und marschierten am 25.12.1979 in Afghanistan ein.

Damit begann der russisch-afghanische Krieg, der, obwohl die Russen anfänglich eine moderatere Politik, speziell gegenüber dem islamischen Glauben und dessen Vertretern umsetzte, letztlich zu einer russischen Niederlage führte.

Diese ist neben der russischen Unterschätzung der gegnerischen Stärke und des Fanatismus der Mujaheddin auch wesentlich der vorbehaltlosen und breitangelegten finanziellen und militärischen Unterstützung aller Gruppen der in Opposition zur Regierung in Kabul stehenden Fraktionen durch den Westen, angeführt durch die USA, zurückzuführen. Zbigniew Brzeziński, der damalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten Carter überzeugte diesen „Afghanistan in das Vietnam der Russen“ zu verwandeln. Dabei wurden die Mujaheddin-Gruppen von den USA direkt - Operation Cyclone -, als auch über zwischengeschaltete Organisationen alimentiert, was explizit auch radikal-islamische Gruppen, Vorläufer der Taliban und von Al-Qaida einschloss, frei nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Bin Laden war einer der führenden Personen in diesem Geflecht. Eine besondere Rolle spielte dabei auch der pakistanische Geheimdienst, der eigene und US-amerikanische Mittel an die Mujaheddin kanalisierte, da er dies mit gesonderten Eigeninteressen verband, und über lange Zeiträume die extremsten Gruppierungen unterstützte. Dies bezog sich speziell auf die Gruppen die von Pakistan in Afghanistan einfielen, oder dort basierte Lager hatten. Die Mudjaheddin waren wesentlich ethnisch oder religiös orientiert, deren Anführer stammten fast ausschließlich aus lokalen ethnischen Gruppen.

Speziell als die US-Amerikaner den Mujaheddin tragbare Stinger-Boden-Luft-Raketen lieferten nahmen die Verluste der Russen stark zu, da diese Raketen die russische Lufthoheit beeinträchtigten, die oppositionellen Gruppen somit tiefer in das Land eindringen konnten. Noch in den Jahren um 2005 wurden von den US-Truppen etwa 1000 Stinger-Raketen gesucht, die man bei den Taliban vermutete.

Die afghanische städtische Bevölkerung erlebte eine „russisch orientierte“ Sozialpolitik – Gleichstellung der Frauen, Ausbau des Bildungs- und Gesundheitssystems, „sozialistischer Städtebau“ und die Errichtung großer Betriebe, wie Plattenwerke für den Wohnungsbau, es entstanden in Kabul zum Beispiel die Microyans, größere Plattenbau-Komplexe, zentrale Heizwerke und Fabriken, so auch die Kabuler Brotfabrik. Es herrschte relative Religionsfreiheit, sofern die Imane nicht direkt gegen die Regierung predigten. Das Zivilleben entsprach weitgehend dem in der UdSSR üblichen Gegebenheiten, die für Afghanistan eher vorbildlich waren. Diese Veränderungen erreichten jedoch die Provinzen in immer geringeren Maß, in dem sich die Bewegungsfreiheit der Regierungstruppen und des russischen Militärs verringerte und der Einfluss der Mudjaheddin zunahm.
Die UdSSR sah sich Ende der 80er Jahre genötigt ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen, die fast 14.500 Gefallenen und über 300 Vermissten hatten die Zustimmung zur militärischen Intervention weitgehend gekippt – am 15. Februar 1989 verließen die letzten russischen Kampftruppen Afghanistan über die Brücke von Termez.

Die linke afghanische Regierung Najibullah hielt sich, wider den Erwartungen, noch etwa drei Jahre, obwohl westliche Beobachter dieser lediglich einige Monate Überlebenschancen gaben. Die Wendung zugunsten der Mujaheddin trat am 21. März 1992 ein, als General Dostum – Führer der usbekischen Bevölkerungsgruppe – samt ihm unterstellten Truppen auf die Seite der Aufständischen wechselte. Er nahm die Grenzregion um Masar-e-Scharif unter Kontrolle, schnitt somit die Nachschubverbindungen der Kabuler Zentralregierung nach Russland ab.

Am 18. März 1992 zerbrach die afghanische Regierung, deren Präsident Mohammad Najibullah trat zurück und exilierte sich in der UN-Botschaft in Kabul. Die Stadt wurde fast widerstandslos von den Mujaheddin eingenommen – die Stunde der Warlords hatte geschlagen. Die unterschiedlichen Mujaheddin-Gruppen hatte vorher lediglich die Opposition zur linken Regierung in Kabul geeint, nach deren Niederlage brachen offene militärische Konflikte um die Macht im Lande aus.
Kabul wurde von verschiedenen Gruppen gehalten, zwischen denen, und anderen Gruppen – z. B. die Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar – versuchten Boden in der Hauptstadt zu gewinnen und bekämpften sich gegenseitig. Von den Bergen im Süden Kabuls aus beschossen die Anhänger Hekmatyars die Stadt, bis zu 800 Geschosse, zwischen Granaten und Raketen wurden in Kart-e-Say, einem Stadtteil im Süden Kabuls, an einem Tag gezählt. Über 90% der Zerstörungen in Kabul beruhten auf diesen Auseinandersetzungen zwischen den Mujaheddin-Gruppen, die Schäden aus dem Krieg gegen die Najibullah-Regierung hielt sich in Grenzen, die Besetzung Kabuls durch die Taliban und die Invasion 2001 tat dann den restlichen Teil.

Während der sowjetischen Invasion flohen eine große Zahl von Afghanen nach Pakistan (zwischen 1,5 bis 2,5 Millionen Personen, je nach Quelle), viele, speziell jüngere Afghanen besuchten die Koranschulen, welche vorwiegend durch die schiitischen arabischen Golfmonarchien finanziert wurden. Basis der Schulen war die schiitische Islamauslegung, obwohl die Paschtunen die Mehrzahl der „Schüler“ – landessprachlich Taliban – stellten, bezog die Bewegung auch andere ethnische Gruppen ein. Politisch militärisches Ziel der Taliban war es die Macht der Warlords zu brechen und das Islamische Emirat Afghanistan auszurufen.

Anfänglich unterstützten weite Teile der Bevölkerung die Taliban, in der Hoffnung, dass diese die Kriege der Warlords beenden und einen islamischen Staat ausrufen würden, Forderung, in der die meisten Afghanen keine größeren Probleme sahen. Was jedoch viele nicht so wollten, war ein sich sukzessiv radikalisierender islamischer Staat, der auf einer extremen Auslegung des Korans aufbaute. Speziell die Rolle der Frauen wurde von absoluter Gleichberechtigung auf absolute Abhängigkeit von den männlichen Familienmitgliedern zurückgestuft, die Umsetzung der Scharia wurde mit brachialen Strafen und deren teilweise öffentlichen Vollzugs durchgesetzt.

Die Taliban drangen nach der Besetzung Kabuls auch am 26 September 1996 in die UN-Vertretung ein und brachten Mohammad Najibullah und dessen Bruder in ihre Gewalt, welche sie schwer folterten und anschließend durch die Stadt schleiften. Die Leichen wurden dann tagelang auf dem zentralen Zarnegar Park an einen Polizeiposten hängend öffentlich zur Schau gestellt. Viele weitere Menschen wurden Opfer der Taliban, die sich noch weiter radikalisierten.

Lediglich im Norden des Landes hielten sich zusammenhängende Gebiete die nicht von den Taliban erobert werden konnten. Diese Gebiete wurden dann im Jahre 2001 als Brückenkopf für die Besetzung Afghanistans durch internationale, vorwiegend US-Truppen.

Warum wurde Afghanistan im Jahre 2001 von den USA angegriffen? Gehen wir einen Schritt zurück – zum Krieg der Mujaheddin gegen die afghanischen und russischen Truppen. Vornehmlich in Pakistan organisierte sich der Widerstand gegen die afghanische Regierung. Zu dem Mujaheddin gehörte auch eine arabische Einheit, vorwiegend bestehend aus sunnitischen Arabern der Golfstaaten, die von Osama bin Laden geleitet wurde. Nach anfänglichen defizienten militärischen Ergebnissen der arabischen Einheit wurde die Rückeroberung ihres Basislagers Masaada zu einem Mythos – die anfängliche Stärke der Einheit wuchs von 50 auf über 3000 Personen an. Dieses Lager diente auch zur militärischen Ausbildung und religiösen Indoktrination neuer, meist ausländischen Kämpfer der sich hier formierenden Al-Qaida.

Nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan kehrte bin Laden zuerst nach Saudi-Arabien zurück und widmete sich den Geschäften seiner Familie, die zu den einflussreichsten Familien des Landes gehört. Doch parallel dazu baute er Al-Qaida weiter auf und führt mittels dieser Terrororganisation Anschläge in Afrika, Asien und den USA durch. Das erste Attentat auf das World Trade Center 1993 brachte Al-Qaida das erste Mal auch für eine breitere Öffentlichkeit ins Blickfeld, die US-finanzierte anti-russische Organisation aus Afghanistan hatte sich zu einer anti-US-amerikanischen Organisation gewandelt. Als Begründung gibt Al-Qaida die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien - dem Heiligen Land der Moslems an.
Bin Laden verlegte sein Hauptquertier in den Sudan, wo er jedoch nach den beiden koordinierten Botschaftsattentaten am 7. August 1998 in Kenia und Tansania wiederum flüchten musste und tauchte im weitgehend von den Taliban beherrschten Afghanistan unter. Privat war, nach verschiedenen Quellen, Bin Laden mit dem geistlichen Oberhaupt der Taliban, Mullah Omar verwandt - eine seiner Frauen gehörte zur Familie von Mullah Omar. Offiziell lehnten die Taliban die Auslieferung Bin Ladens an die USA wegen der Anschläge des 11.09.2001 „wegen fehlender Beweise“ gegen Bin Laden ab.

Dann kam 9/11 - nicht der in Chile - der von New York - Al-Qaida war in aller Munde, nachdem ein Pass der Entführer den Feuersturm und den Einsturz der Twin Towers überlebt hatte – ein saudi-arabischer Pass – denn 15 der 19 am Anschlag beteiligten Personen waren Saudis. Keiner kam aus Afghanistan oder dem Irak, die Staaten, welche im Rahmen des von George Bush deklarierten „Krieg gegen den Terror“ die Ziele US-geführter Angriffe waren. Hingegen wurde gegen Saudi-Arabien keinerlei Aktivitäten entwickelt, auch als in verschiedenen, ernstzunehmenden, Quellen auf Verbindungen zwischen der saudischen Führungsschicht und Al-Qaida hingewiesen wurde. Diese waren meist finanzieller Natur, reichten aber bis in die saudische Königsfamilie – Prinz Bandar Ibn Sultan - welcher auch aus Taif stammt, wie einer der Attentäter von 9/11 - Hani Handschur. Es kann auch in den nächsten Tagen mehr Information über saudi-arabische Verwicklungen in 9/11 erwartet werden, da US Präsident Biden von der Opfergemeinschaft 9/11 genötigt wurde Material freizugeben, welches bisher der Geheimhaltung unterlag.

Eine der Verbindungen der Taliban zu Saudi-Arabien ist die Anwendung der islamischen Scharia als legales Grundprinzip. In Saudi-Arabien wird ebenso die Scharia als Basis des Rechtssystems angewendet – nicht so extrem wie es die Taliban und der Islamische Staat (IS) später umsetzten, sowie Al-Qaida anstrebt - es gab und gibt also erhebliche Übereinstimmungen in den Staatsdoktrinen.

Am 07.10.2001 begann die US-geführte Offensive gegen die Taliban in Afghanistan. Die Operation Enduring Freedom baute dabei wesentlich auf dem Einsatz der US-Luftwaffe und der Unterstützung der afghanischen Widerstandsgruppen gegen die Taliban auf, welche massiv von den USA militärisch und finanziell gestützt wurden. Die Nordallianz unter Ahmad Shah Massoud und Abdul Rashid Dostum stellte dabei die Infanterie des Angriffs, die von wenigen US-Spezialkräften unterstützt wurde. Zwei Tage nach dem Angriffsbeginn, am 09.10.2001 wurde dann Massoud durch ein Selbstmordkommando der Taliban getötet. Vom Westen her griffen die Einheiten von Ismael Khan an, die wegen ihrer Nähe zum Iran weniger US-Unterstützung erhielten.

Am 13. November 2001 übernahm die Nordallianz Kabul, die Talibanführung zog sich in die Stammesgebiete von Pakistan zurück. Nach und nach übernahmen die US-geführten afghanischen Truppen, unterstützt von etwas aufgestockten US- und internationalen Bodentruppen die Städte Afghanistans, während sich die Taliban in die unwegsamen Gebiete des Landes zurückzogen.

Vom 27.11.2001 bis zum 05.12.2001 wurden auf der Bonner Petersberg-Konferenz die Weichen für das heutige offizielle Afghanistan gestellt, an der die wesentlichen westlich orientierten Warlords und regionalen Führer teilnahmen, lediglich einzelne belastetere Warlords und die dem Iran zugeordneten Gruppen (Ismael Khan) waren kaum vertreten. Die auf der Konferenz anwesenden Vertreter bestimmten Hamid Karzai als neuen Übergangs-Präsidenten Afghanistans, der eigentlich eine recht schwache Besetzung für diese Position war, da er kaum über eine eigene militärische Hausmacht verfügte, somit als Kompromisskandidat betrachtet werden muss, der von allen Interessengruppen als lenkbarer Präsident betrachtet wurde. Insgesamt waren die Vertreter der Nordallianz prägend für die neue Regierung.

Am 20.12.2001 wurde die internationale Unterstützung der Besetzung Afghanistans in der UNO geschaffen, mit der Resolution 1386 wurde die ISAF - die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe oder International Security Assistance Force - institutionalisiert, im Rahmen welcher etwa 50 Staaten Truppen stellten, wobei das US-Kontingent stets das bestimmende und größte war. Von der ISAF gingen alle wesentlichen militärischen Aktivitäten aus, auch wenn die Afghanische Nationalarmee und die Polizei stetig mehr Aufgaben übernahmen, welche jedoch in der überwiegenden Zahl als Unterstützungs- und Besatzungstruppen genutzt wurden. Beide Institutionen – Armee und Polizei – wurden und werden materiell und finanziell wesentlich von den westlichen Ländern geprägt und unterstützt – taktisch, ausrüstungsmäßig und finanziell. Dabei gleichen sich die Bilder – wenn ein Krieg oder eine Invasion zu opferreich wird kam immer eine derartige „Nationalisierung des Krieges“ – die US-amerikanische Vietnamisierung des Krieges, oder die russische Afghanisierung des Krieges, beides ohne Erfolg auf längere Sicht. Aber auch die Invasionen Afghanistans – die Britten siegten und nahmen die Städte ein, wurden dann aber im Lande von den jeweiligen Insurgenten verschlissen, und letztlich besiegt. Dies galt auch für die Russen, und die Zeichen, dass es diesmal genauso kommt sind immanent.
Doch wo liegt der Fehler im Kalkül der Besatzer in der afghanischen Geschichte? – zumindest der Russen und der westlichen Invasion des Landes seit 2001?

Im Jahre 2002 waren in Kabul und Umgebung die meisten Afghanen zuversichtlich und hatten große Erwartungen, dass sich ihre Lage zum Positiven ändern würde – ich sah auf einem Markt Teppiche, auf denen US-Bomber die Stadt bombardierten … sie waren nicht nur bei Ausländern ein Verkaufsschlager. Die Menschen hatten positive Erwartungen, Frieden, Aufbau, Arbeit – Freiheit.

Während die sozialen Erwartungen der Afghanen immer weiter in den Hintergrund gerieten, gelangten die früheren Warlords immer größere Unabhängigkeit – als Beleg kann man den steigenden Mohnanbau zur Rauschgiftherstellung heranziehen, gegen den die ISAF Truppen nicht vorgehen durften. Parallel dazu verlegte sich der Westen, im Rahmen der ISAF, darauf zunehmend die militärische Lösung des Konfliktes mit den Taliban zu priorisieren. Das hieß unter den gegebenen Umständen den verstärkten Einsatz von Luftwaffe und Drohnen, alles unter der Prämisse die eigenen Verluste zu minimieren – was jedoch hieß, die Verluste unter der afghanischen Zivilbevölkerung – durch eine stetige Ausweitung der Anzahl der als „kollateralen Verluste“ bezeichneten Toten – als hinnehmbar zu betrachten. Die Stimmung, speziell der ländlichen Bevölkerung, welche den Luftschlägen wesentlich intensiver ausgesetzt waren, kippte – sie tolerierten oder unterstützen gar die Taliban.

Man erinnere sich an die Bombardierung der von den Taliban entführten Tanklaster am 04.09.2009, die letztlich auf direkte Veranlassung der Bundeswehr bei Kunduz durch zwei US-Flugzeuge erfolgte. Der damalige Befehlshaber befürchtete, die Tanklaster könnten gegen den Bundeswehrstützpunkt als Waffe eingesetzt werden, diese waren jedoch in einer Furt festgefahren, die Bevölkerung versorgte sich dort mit Treibstoff – plünderte – doch die Bombardierung forderte mindestens 134 tote Zivilisten, zusätzlich 45 verwundete. Die Anzahl etwaig getöteter Taliban wird nirgends genau benannt. Aus Angst vor eigenen Verlusten wurden keine Streifen zur Furt geschickt – es wurde bombardiert. Nebenbei, die englische Version von Wikipedia gibt die Zahl der Opfer höher an – bis zu 200. Übrigens auch interessant – in allen Berichten im Internet stehen die ISAF-Verluste an erster Stelle, gefolgt von militärischen und politischen Inhalten folgen die Daten zu afghanischen Verlusten, speziell unter Zivilisten weit hinten verzeichnet und entsprechend der Quelle mit zum Teil erheblichen Abweichungen. Auch bezeichnend ist die Summe der „Opferausgleichszahlungen“ die für die Familien getöteter Zivilisten gezahlt wurden – etwa 5000 € pro Getöteten, ob Familienvater oder Kind, Mutter oder Großvater. Beschämend!

Ebenfalls ist auffällig, die Verluste des afghanischen Militärs und der Polizei werden in westlichen Quellen nur in sehr großen Rängen angegeben – was generell für nicht der ISAF zugerechneten Verluste betrifft. Bei ISAF-Verlusten sind diese in detaillierter Form nach Ländern, Zeit und sogar den Umständen des Todes dargestellt. Also gibt es augenscheinlich in der Wahrnehmung Opfer und Verluste … letztere sind im Kriegsgebiet zuhause – erhebliche Unterschiede.

Abschließend zu diesem Teil der Betrachtung soll noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Bombardement der Tanklaster, in der deutschen Presse als „Unglück von Kunduz“ umschrieben wurde, nicht der einzige von derartigen Luftschlägen mit „kollateralen Schäden“ ist, da ist zum Beispiel noch der US-Luftangriff auf eine Klinik von „Ärzte ohne Grenzen“ am 03.05.29013, aber auch viele andere. Eine etwas detailliertere, wenn auch ältere Darstellung durch „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ ist hier verlinkt.

Es ist also klar, dass die in den letzten Jahren immer wieder als Grund der Invasion genannte Sicherstellung der Rechte von afghanischen Frauen und Mädchen nur so lange gilt, wie diese nicht in der Nähe taktischer Ziele der ISAF leben, falls doch, dann ist das Leben dieser genauso gefährdet wie das Leben aller anderen Afghanen. Das Leben der eigenen Soldaten und Vertragsarbeiter wird dann eben weiterhin priorisiert. Die Begründung, dass die Taliban wegen internationalen Terrorismus, oder gar wegen der Unterstützung von Al-Qaida Ziel der ISAF sei wurde in den Jahren seit 2001 immer mehr ad absurdum geführt, die Taliban sind lediglich in Afghanistan und Pakistan aktiv und bekämpfen die Al-Qaida und den IS in Afghanistan.
Doch wie sieht es in anderen Bereichen aus – zum Beispiel den Frauenrechten. Wenn es „nur“ um die Frauenrechte ging, dann hätte die ISAF ja auch in Saudi-Arabien intervenieren können.

In Afghanistan gab es nach der Intervention eine recht positive Entwicklung der Frauenrechte, in den Städten. Auf dem Lande sah dies dann schon anders aus. Man konnte dies an den Aufbauprojekten ablesen, die von den örtlichen Gemeinden priorisiert wurden, auf dem Lande waren es mehr Moscheen als Schulen und andere Infrastrukturelemente als in den Städten und stadtnahen Gemeinden. Auf jeden Fall war den Mädchen wieder der Schulbesuch erlaubt, was mit dem entsprechenden Stadt-Land-Gefälle auch positiv angenommen wurde. Dabei entwickelten sich Mädchenschulen auf dem Lande recht schnell und umfassend als Ziel der subversiven Aktivitäten der Taliban. Es steht zu befürchten, dass nach der Machtübernahme durch die Taliban die vorhandenen Fortschritte wieder auf das Niveau von vor 2001 zurückgeführt werden.

Die Gender-Projekte gingen dabei auch soweit, eine Frauenbank zu Gründen bei der lediglich Frauen Kredite erhalten konnten, ein Novum in der islamisch geprägten Gesellschaft Afghanistans, welches sonst die die Frauen eher negiert und wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht beachtet hat. Während in den Städten die Bank lediglich verbal angefeindet wurde, wurden deren Filialen im ländlichen Bereich angegriffen und abgebrannt. Und die Brandleger waren keine Taliban, es waren Täter aus der islamischen dörflichen Gesellschaft. Eine gutgemeinte Aktion, die speziell den Witwen in Afghanistan ein Auskommen gesichert hätte ist somit auf dem Lande total diskreditiert und öffentlich gescheitert. Dies ist nur ein Beispiel, wie NGOs, aber auch staatliche, und internationale Projekte ohne die erforderliche interkulturelle Kompetenz geplant und umgesetzt wurden, die letztlich eher radikal-islamische Strömungen in der Gesellschaft förderten.

Die von der afghanischen Bevölkerung erwarteten Fortschritte in der Wirtschaft, im Wiederaufbau der Gesellschaft, waren jedoch nur gering.

 

17.08.2021 - Die Realität war schneller als der Schreiber dieses Beitrags, überholt – die Taliban stehen in Kabul

Die Szenen auf dem Kabul International Airport gleichen den bekannten Bildern des US-Rückzuges aus Saigon … Alle wollen weg, darunter auch die ehemaligen afghanischen Mitarbeiter der ISAF-Truppen, von Entwicklungshilfeorganisationen, afghanische Regierungsmitarbeiter, etc. Und alle steuern das Nadelöhr des Flughafens an – außen von den Taliban und an den Pforten von US- und anderen ISAF-Truppen kontrolliert und beschränkt. Mit und ohne Visen, reiner Kraftakt – wer kann sich bis nach vorn drängen. Also vollständiges Chaos, mit Warnschüssen von allen Seiten. Noch spielen die Taliban mit, doch auch dieses Zeitfenster wird sich schließen, wie man jetzt von den Taliban und deren internationalen Kontakten hört. Die Ratlosigkeit ist groß, das Entsetzen wird stetig durch neue Aufnahmen angeheizt.

Daraus ergeben sich Fragen – Wie konnte es mit einer derartigen Geschwindigkeit zu einem Zerfall der staatlichen Macht kommen? Wer ist verantwortlich dafür? Wer ist für die verspätete Evakuierung der afghanischen Hilfskräfte verantwortlich? Und letztlich - Wie soll der weitere Umgang mit den Taliban sein?

Wie konnte die afghanische Regierung so schnell zerfallen, obwohl sie von den westlichen Staaten so gut ausgerüstet und trainiert wurden? Die Situation gleicht von der Ausgangslage der Besetzung Kabuls durch die Mujaheddin 1992 – die afghanische Armee hielt fast 3 Jahre der Invasion der von westlichen Staaten unterstützen Mujaheddin stand, nachdem 1998 die russischen Truppen abgezogen waren. Auch die Russen unterstützten die Kabuler Regierung mit Waffen und Ausbildung, und diese kämpften. Warum ging es diesmal so schnell mit der kompletten Niederlage der Kabuler Regierung?

Die Antwort liegt sicher schon in der Anlage der westlichen Invasion Afghanistans im Jahre 2001 – die Mujaheddin-Warlords waren erst die Bodentruppen der Allianz, deren Chefs dann Minister in Schlüsselpositionen der Regierung, häufig reich geworden durch den Drogenanbau und –handel, die keinen Wert auf lange Kämpfe gegen die Taliban legten, sich bei erstbester Gelegenheit ins Ausland absetzten. Eine der wenigen Ausnahmen ist wieder der bereits oben erwähnte Ismael Khan, der in Herat von den Taliban gefangengenommen wurde und seitdem unter Hausarrest steht. Doch was nutzt eine hoch-gerüstete Armee ohne Befehlshaber – sie taugt lediglich als Waffenspender für die Taliban, die jetzt, ausgerüstet mit moderner westlicher Technik die Niederlage der Regierungstruppen beschleunigten. Und dies ist auch die Ursache der überraschenden Geschwindigkeit der Niederlage der afghanischen Regierung – die Taliban sind sicher auch schneller nach Kabul vorgedrungen, als sie selbst es erwartet haben – sie stießen einfach in die Gebiete vor, in denen sich ein Machtvakuum ergeben hat – und das hatte Domino-Effekt. Kein Widerstand – stetiger Vormarsch.

Auf der anderen Seite scheinen die Taliban 2021 nicht die Taliban des Jahres 1996 zu sein, nicht nur in der Führung, Mullah Baradar ist nach übereinstimmenden Berichten ein eher bedenklicher Gegner. Auch scheint das Taliban-Bild der westlichen Medien nicht mit der Realität übereinzustimmen. Die Taliban haben zweifelsfrei in ihrem Kampf gegen die Regierung in Kabul von uns als terroristisch eingestufte Mittel eingesetzt, sind jedoch in keiner Weise mit dem IS oder Al-Qaida vergleichbar – sie haben ihre Aktionen auf „ihr Gebiet“ beschränkt – das heißt Afghanistan und Pakistan, sie sind nicht direkt in den internationalen Terrorismus involviert. Dies geht auch aus den Daten der Global Terrorismus Database hervor, die lediglich „regionale Attentate“ unter dem Suchbegriff Taliban verzeichnet.

Es liegen auch sehr viele Belege vor, dass die Taliban nicht mit dem IS und Al-Qaida verbündet sind, diese gar bekämpfen, was einen weiteren Unsicherheitsfaktor in dieser labilen Situation darstellt, die Situation ist schwer einschätzbar, da sie wie geschaffen ist für politisch-militärische Provokationen unter falscher Flagge. Diese Situation stellt sehr hohe Anforderungen an die künftige Politik, in der die Präsenz der Taliban in der Regierung Afghanistans toleriert werden muss, auch und gerade weil die westlichen Werte gefährdet sind, die in den Städten des Landes angekommen waren, und jetzt bedroht sind. Wichtigster Punkt dabei sollte eine kritische Bewertung der Afghanistanpolitik seit 1980 sein, bei der die falschen Allgemeinplätze der Propaganda, auch in den westlichen Medien, berichtigt werden und eine schonungslose Aufklärung erfolgen muss.

Noch ein Wort zur Drogenpolitik – nicht die Taliban waren die großen Drogenproduzenten – Nein – die mit den westlichen Staaten und der ISAF verbündeten Warlords! Ich erinnere mich noch recht gut an Gespräche im Jahre 2005 mit Soldaten der CIMIC der Bundeswehr, die als einzige Einheit direkten Kontakt zur afghanischen Bevölkerung hatten, die ihre Frustration zum Ausdruck brachten, dass die Bundeswehr im Norden des Landes eigentlich eher als Schutztruppe der Mohnfelder eingesetzt war, als gegen diese vorzugehen – es war der Bundeswehr eindeutig verboten worden! Dies alles waren die Zugeständnisse der ISAF an die „Loyalität der dortigen Warlords“. Wie loyal sie waren haben wir jetzt beim Zusammenbruch der afghanischen Armee gesehen. Den Taliban hingegen ist der Anbau, die Herstellung und der Genuss von Drogen durch ihre Religion verboten, was sicher nicht für alle Talibangruppen galt, da kann es schon sein, dass sich die eine oder andere durch Drogenanbau finanziert hat – doch dann ist die Frage, wer die Abnehmerländer waren, die waren sicherlich auch der ISAF verbunden.

Und noch eine weiteres, in den letzten Tagen viel kommentierte Vorkommnisse nach der Machtübernahme der Taliban – in vielen Beiträgen ist die Meldung von Massenhinrichtungen der Taliban enthalten – doch bisher ist mir noch keine Meldung untergekommen, weder von der UN, noch anderen Quellen, die diese Behauptung mit einer Ortsangabe untersetzt, eigentlich eigenartig. Aber es gibt auch Meldungen, dass die Taliban die Ausreise über den Flughafen Kabul bis zum 31.08.2021 terminiert haben. Eigentlich ein Entgegenkommen der Taliban. Heute habe ich nun eine Verlautbarung der Taliban gelesen, sie sprechen sich dagegen aus, dass im Rahmen der Luftbrücke auch viele Fachkräfte und Ingenieure ausgeflogen werden, die dann für die Rekonstruktion des Landes erforderlich sind. Eigentlich ein verständlicher Einwand, sie gehen davon aus, dass die Luftbrücke hauptsächlich zur Evakuierung von ausländischen Staatsbürgern auch von ihnen offengehalten wird. Das Problem ist dabei das von uns in den Vordergrund gerückte Ortspersonal der Bundeswehr und der NGOs. Wie werden diese eingestuft?

Mir fällt dabei eine Diskussion mit Ismael Khan im Jahre 2005 ein – er war nicht so gut auf die internationalen Entwicklungshilfe-Projekte zu sprechen. Sein Vorbehalt war, dass die guten Ortskräfte, die vorher für seine Verwaltung gearbeitet haben, von den ausländischen Projektverantwortlichen durch höhere Löhne abgeworben worden, die dann die angearbeiteten Projekte mit zur ausländischen Wirtschaftshilfe nahmen, sein eigenes Team hingegen wurde dadurch entscheidend geschwächt. Dazu muss man feststellen, Khan war der Herrscher über Herat – dies war vom Krieg gegen die Taliban relativ gering in Mitleidenschaft gezogen. Sein Team hat in Herat die Energieversorgung mit eigenem Personal soweit wiederhergestellt, dass von unserem Personal in Kabul anfangs keiner glauben wollte, dass die vorliegenden Fotos aus Afghanistan stammten – sie sahen gut gewartet und sehr gut instandgehalten aus. Wir haben sogar einen Kollegen nach Herat geschickt, um den Zustand zu verifizieren – Ergebnis: Die Fotos waren echt und der Zustand sehr gut.

Dies zur Frage des Abzugs von Fachkräften, denen sicher auch nicht so klar ist, dass deren russische oder afghanische Ingenieurstitel in den meisten ISAF-Staaten nicht anerkannt werden, und diese mit akademisch gebildeten Taxifahrern versorgen.

Der Westen muss ein essenzielles Interesse an einer Befriedung der Lage in Afghanistan haben, also neben der realen Bewertung der eigenen Fehler, eine reale Bewertung der Situation und der Absichten der Taliban erarbeiten, und das Land in der Rehabilitation unterstützen. Einer der wesentlichsten Fluchtgründe ist die soziale und wirtschaftliche Situation im Lande! Dabei muss auch beachtet werden, dass die Bundesregierung die Verkürzung der Zugangszeit nach Kabul nicht an den Taliban festmacht – es werden verdeckte IS Terroristen angeführt, die durch Anschläge im Außenbereich des Flughafens Unruhe stiften wollen.

Doch wer sind die Gewinner des Krieges? Natürlich fallen uns da als erstes die Taliban ein, doch dies greift zu kurz. Die Taliban haben sich übrigens öffentlich so geäußert, dass sie keine Vergeltungsmaßnahmen anstreben und friedlich mit ihren früheren äußeren und inneren Feinden zusammenleben wollen – man muss sehen, was diese Versicherungen beinhalten und wie vertrauenswürdig sie sind.

Doch es gibt eine weitere Gruppe, die über die Maße auf der „Gewinnerseite“ stehen – der militärisch-ökonomische Komplex der westlichen Staaten. Für das Militär war der Afghanistan-Krieg ein ausgezeichnetes Übungsfeld und eine gute Karrierechance, ein Einsatz in Afghanistan gehört zu den Positivpunkten in fast allen westlichen Armeen.
Aber noch größer ist der Gewinn, den die Waffenfabrikanten aus dem Krieg zogen, was auch die „privaten militärischen Dienstleister“ einschließt. Für diese Interessengruppe war der Krieg ein riesiger Gewinn. Die folgende Grafik verdeutlicht dies, welche von der Brown University erstellt wurde.

US Kosten Afg-Krieg

Unter der Grafik ist der gesamte Kurzüberblick der Bilanz der Kriegsfolgen für das Finanzjahr 2001 – 2022 dargestellt, welcher US-typisch auf die US-Daten fokussiert, andere, speziell afghanische Daten der gefallenen Soldaten der ANA und Polizei, aus auch der Zivilisten und Gegner recht vage und eher das untere Limit der Schätzungen darstellt.

Finanziell stellt die Brown University für die USA Kosten von 1.548.000.000.000 US$ für Rüstung und direkte kriegsbedingte Kosten in Rechnung, Geld was nicht verloren ging – sondern zum wesentlichen Teil an die Waffenindustrie gezahlt wurde. Die Rüstungsindustrie hat glänzende Profite erzielt und hofft auf mehr. Investiert in einen Krieg, der von der strategischen Anlage bereits 2006 verloren war, noch deutlicher wurde dies nach 2010.

Und pünktlich zum Eingeständnis der Niederlage in Afghanistan hat gestern, am 25.08.2021, der Deutsche Bundestag ein Weiter-so-Votum abgegeben, Verlängerung des Einsatzes, und führende Politiker fordern erneut die Rüstungsausgaben zu erhöhen – die Kriegswirtschaft wird dies freuen – doch auch mit mehr Rüstung, hätte der Krieg nicht gewonnen werden können - lediglich die gesamtgesellschaftlichen Verluste wären höher.

Derartige Kriege sind immer dann zum Scheitern verurteilt, wenn die Militärkosten die der Wirtschaftshilfe eklatant übertreffen. Für Deutschland gilt dabei eine Relation von 78,2% für das Militär, lediglich 21,8% für zivile Projekte – bei denen es ebenfalls eine Dunkelziffer im Bereich „Nation Building“ und "Good Governance" gibt, einen der maroden Eckpfeiler der internationalen Afghanistanstrategie. Mit diesem Konzept hat der Westen von Vietnam begonnen und später nur Fehlschläge erlitten, man erinnere sich an den Irak, Somalia, Libyen, Mali und dem Kosovo, alles Staaten die als gescheitert verstanden werden müssen, die heute keine klaren Strukturen mehr aufweisen. Heute steht die Bundeswehr noch immer im Kosovo, heute aber wesentlich zum Schutz der damals verfeindeten Serben die dort leben.

Aber für den militärisch-industriellen Komplex sind dies hervorragende Perspektiven.

„Wir in den Institutionen der Regierung müssen uns vor unbefugtem Einfluss – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potenzial für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterhin bestehen. Wir dürfen es nie zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als gegeben hinnehmen. Nur wachsame und informierte Bürger können das angemessene Vernetzen der gigantischen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammenwachsen und gedeihen können.“

Dwight D. Eisenhower (1890 – 1969)


Datum 26.08.2021