19.05.2021
Nun die Spirale der Terrorakte dreht sich - die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet und die gnadenlose Bombardierung des Gaza-Streifens zeigen stetig neue, grausame Bilder. Doch sehen wir uns die Lage etwas genauer an.
Zweifelsfrei, von allen Seiten anerkannt, war der Auslöser der ursächlichen Unruhen der Versuch der "legalen Vertreibung" von Palästinensern aus ihren Wohnungen im arabisch-palästinensischen Teil Jerusalems durch israelische staatliche Organe - Gerichte und Polizei. Doch man muss noch genauer hinsehen, den Zeitpunkt und die politische Situation bewerten. Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt - vor dem Nakba Tag, der von den Palästinensern am 15. Mai begangen wird und an die Vertreibung der Araber aus Palästina erinnern soll. Eine Provokation der Palästinenser durch jüdische Siedler, die im arabischen Teil Jerusalems eine neue Siedlung bauen wollen - bisher ein weitgehendes Tabu. Dabei muss auch die Nähe zur Klagemauer und den religiösen Fokuspunkten der 3 Weltreligionen Berücksichtigung finden, was die Sensibilität auf allen Seiten erhöht.
Parallel zu dieser beabsichtigten Zwangsräumung im arabischen Teil Jerusalems greifen extremistische jüdische Gruppen arabische Israelis, meist mit quasi Polizeischutz, an. Es ist das erste mal, dass sich die etwas mehr als 20%-ge arabische Minderheit direkt in den Konflikt involviert fühlt - was Anlass zu einem Bürgerkrieg innerhalb Israels werden kann. Auch hier hat die israelische Regierung mit dem Gesetz zum "jüdischem Nationalstaat" 2018 neue Fakten geschaffen, es hat einfach die mehr als 20% der arabischen Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse deklariert - schon vorher waren Eheschließungen von israelischen Arabern juristisch anders bewertet, Gemischte Eheschließungen zwischen Juden und Araber innerhalb Israels gänzlich unmöglich gemacht worden.
Doch nun zur Einordnung in die israelische Politik - Netanjahu hat hoch gepokert und verloren - um seinen ungeliebten Partner in der Koalition nicht wie vorher vereinbart an die Macht kommen zu lassen hatte er auf Neuwahlen gesetzt - und verloren - sein Likud-Block und die Rechten sind zwar in der Mehrheit im Parlament, konnten sich aber nicht auf eine Regierung einigen. Wie üblich in solchen internen Problemen, sie sollen mit externen Konflikten überspielt werden, und Netanjahu hat die Chance sich als erfolgreicher Krieger zu inszenieren. Denn, nach der 4. Wahl ist immer noch lediglich eine amtierende Regierung unter Netanjahu an der Macht - alles läuft wieder auf eine Neuwahl hinaus. Zeitgleich kommt der Korruptionsprozess gegen Netanjahu in fahrt. Da kann ein Krieg - man muss ihn nur gewinnen - nur helfen die Lage zu beschönigen.
Übrigens, auch der PLO-Führung kommt dies nicht unrecht - Abbas hatte die für dieses Jahr geplanten und seit fast einem Jahrzehnt nicht stattfindenden wiederum verschoben, denn die Chancen für seine Wiederwahl sind gering, im Gegensatz zur allgemein in den Medien gepflegten Annahme, die Fatah hätte eine Mehrheit im Westjordanland hatte dort auch die Hamas-Partei gesiegt (2006: 30 von 42 Sitzen).
Nun zur Hamas - die im Gaza-Streifen seit 2007 die Macht hat. Sie ist eine vielschichtige Organisation, mit einer interessanten - an anderer Stelle noch zu beleuchtenden Geschichte. Wie die meisten palästinensischen Organisationen verfügt sie über einen politischen Flügel - eine Partei, die Partei "Wechsel und Reform", und einen militärischen, analog der Fatah. Der militärische Flügel war vorwiegend in den beiden Intifadas der Palästinenser aktiv, ist aber seit der Machtübernahme im Gaza-Streifen, nach einer Wahlniederlage der Fatah im Jahre 2006, geringer aktiv. Viele der der Hamas angelasteten Aktionen die von Gaza ausgingen und gehen werden eigentlich durch andere palästinensische Organisationen ausgeführt. Israel forderte immer, die Hamas solle gegen diese Gruppen aktiv mit ihrer Polizei vorgehen, aber es gestaltet sich schwer, wenn die israelischen Bomben zu erst immer die Hamas und die lokalen Polizeistationen treffen. Die Hamas - namentlich ihr Chef Chalid Maschal - bot Israel im Jahre 2008 einen 10-jährigen Waffenstillstand an, als auch die Anerkennung der von ihr abgelehnten Camp David Vereinbarung zwischen Israel und Palästina, vertreten durch die Fatah, falls eine Mehrheit der Palästinenser dies in einer Abstimmung wolle.
Zu den militärischen Gesichtspunkten - die Raketenabschüsse aus dem Gaza-Streifen gehen überwiegend von der Organisation "Islamischer Dschihad" aus, der nicht der Hamas zuzuordnen ist. Des weiteren muss festgestellt werden, dass die überwiegende Zahl der Raketen - mehr als 95% - keine Sprengköpfe tragen, also lediglich aus ihrer kinetischen Energie und Restbrennstoff wirken, was bei den hochentwickelten israelischen Raketen generell anders ist. Die zerstörerische Wirkung konnte man ja in den Fernsehbildern sehen. Interessant ist dabei, dass man mit Bildern manipuliert - z.B. die Tagesschau-Sprecherin hat im Hintergrund Bilder von Einschlägen israelischer Raketen im Gaza-Streifen und spricht über die Raketenangriffe der Palästinenser auf Israel.
Auch wenn man die Opfer und Zerstörung anzieht - wie immer kommt man auf eine Relation der Opfer von 1:10 und mehr - wie in den letzten Jahren üblich - das Prinzip der Vergeltung - irgendwoher kennen wir diese Argumentation ... von den wirtschaftlichen Schäden ganz zu schweigen.
Das 13-geschossige Haus, das medienwirksam zerstört wurde - war Sitz verschiedener Nachrichtenagenturen, soll diese hindern Bilder aus Gaza zu senden - auch ein bekanntes Schema - die Bombardierungen von Belgrad durch die NATO. Die Angst den Krieg der Bilder zu verlieren - das typische für Israel - alle Kriege gewonnen und moralisch verloren ... man siegt sich tot. Es zeichnet sich auch diesmal wieder so ab - siehe die letzten Verlautbarungen der UN vom 16. und 17. Mai ...
Nun die deutsche Main-Stream Politik bestätigt das Recht Israels auf Selbstverteidigung ... man lehnte auch den Siedlungsbau ab ... doch wo waren die lauten deutschen Proteste, als die Palästinenser aus ihrem Häusern vertrieben werden sollten? Auch Frau Baerbock greift ein ... sie revidiert ihre grüne Position bezüglich der Waffenlieferungen und Rüstungskooperation mit Israel - nun ist sie systemerhaltend für diese - auch wenn deutsche - geschenkte - U-Boote zu Kernwaffenträgern umgerüstet werden ... dafür gab es am 16.05.2021 im Spiegel die rühr-selige Geschichte über ihren Mann, der alles kann ... rührselige Home-Story
Und noch eine weitere Manipulation wurde aufgedeckt - der und durch die Massenmedien - lesen Sie hier mehr ...
Abschließend soll noch auf die Stellungnahmen der israelischen Friedensbewegung verwiesen werden. Sie sind sehr aufschlussreich - finden aber in den deutschen Medien keinerlei Erwähnung.
Hier geht es zu B’Tselem und hier zu +972 Magazine - beides Sites der israelischen Friedensbewegung in Englisch - sehr gut.
19.05.2021
Heute erschienen im "Spiegel" zwei gute und interessante Artikel die hier verlinkt sind - und es gibt Nachbemerkungen
Uno-Kommissarin kritisiert Israel und Hamas scharf
Von Interesse ist, das die UN die Entwicklung komplett sieht - Zwangsräumungen, Polizeieinsätze auf dem Tempelberg gegen Muslime nach der Predigt - Raketenangriffe und Bombardement des Gazastreifens ... nicht breiter erwähnt wird die Aufforderung der Hamas an die israelische Polizei den übermäßigen Gewalteinsatz der Polizei zu unterlassen, und, dass die Aktionen mit dem Jahrestag der Vertreibung der Palästinenser zusammengefallen sind.
Israelische Zeitung zeigt Fotos von 67 in Gaza getöteten Kindern
Ein guter Punkt für "Haaretz" - doch für die Spiegelreporter einen Pluspunkt dafür das Thema aufgegriffen zu haben, und ein Fragezeichen für die fehlende analytische Arbeit oder die fehlende Nachfrage bei der IDF. Im Artikel wird berichtet, die Haaretz habe 67 Fotos von getöteten minderjährigen Palästinensern veröffentlicht. Bei einer Gesamtzahl von 254 sind diese explizit dargestellten Schicksale der Kinder als Fakten anzunehmen - doch dann am Ende des Artikels steht: "Angaben der israelischen Armee zufolge kamen Kinder im Gazastreifen auch durch fehlgeleitete Raketen militanter Palästinenser ums Leben. Sie wirft der Hamas zudem vor, Zivilisten gezielt als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Mehr als 200 der Getöteten waren israelischen Militärangaben zufolge militante Kämpfer."
Nun die erste Angabe - Tote durch palästinensische Raketen - kann als unglaubwürdig angesehen werden, da der Abschusswinkel Eigenbeschuss ausscheidet, die Explosion einer Rakete hingegen hätte solche Spuren hinterlassen, dass sie luftbildtechnisch erfasst und von Israel sicher veröffentlicht worden wären.
Die Frage der menschlichen Schutzschilde - im Gazastreifen lebten im Jahre 2020 etwa 5.690 Einwohner auf einem Quadratkilometer - es ist also dichter besiedelt als Berlin - 3.695 Einwohner auf den Quadratkilometer, womit sich die Fragen menschlicher Schutzschilde und Bombardierung von Städten wohl erübrigt. Die Anwendung dieser Argumentation auf den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 ist ebenso abenteuerlich und verabscheuenswert, wie sie es hier auf den Gazastreifen ist.
Aber das eigentlich erstaunliche ist, wenn bei 254 Toten mindestens 67 Minderjährige waren, so ist die Angabe der IDF mehr als 200 "militante Kämpfer" getötet zu haben extrem unglaubwürdig. Wieso wurde dies nicht hinterfragt oder hervorgehoben - oder hat man auf die alte Weisheit vertraut, die letzten Zeilen eines Artikels bleiben länger in der Erinnerung der Leser.